SL-Atelier

Schreibwerkstatt

Zur Kunst gehört auch das geschriebene Wort. Hier sind ein paar Auszüge aus meinen Werken:


Im Auftrag des Teufels (Die Abenteuer der Märchenwalddetektei, Teil 1)

Kapitel 1:
Milly starrte auf die kahle Wand ihr gegenüber. Vergeblich versuchte sie eine spannende Beschäftigung daraus zu machen den rötlich-braunen Stein zu betrachten, Muster in der porösen Struktur zu erkennen und winzige Unebenheiten zu analysieren.
Entnervt seufzte sie, trommelte ungeduldig mit den Fingernägeln auf der hölzernen Armlehne und scharrte mit den Füßen. Es war unerträglich heiß und es roch seltsam – eine Mischung aus Küche, Abfall und Erzbergwerk. Es ließ sich nur schwer atmen, geschweige denn mögen. Angewidert verzog Milly das Gesicht.
Schweiß lief ihr über die Stirn, klebte an ihren roten Haaren, an ihrer Kleidung und bildete Lachen an den unangenehmsten Stellen. Sie fühlte sich wie ein Schwein im Ofen. Und der unangenehme Gedanke bald auf dem Festtisch zu liegen, begann sich in ihr auszubreiten.
Sie wollte nicht mehr warten. Sie konnte nicht mehr warten. Je länger sie hier saß, desto mehr Raum hatten ihre Hirngespinste zu wachsen und zu blühen. Angst kroch in ihr hoch. Und dieses Gefühl mochte sie gar nicht. Dann lieber Wut.
Wie lange wollte er sie noch warten lassen?
Milly blickte den Gang nach links hinunter, dann rechts. Nichts. Überall dasselbe langweilige Bild: nackter Stein ohne irgendeine Form von Inventar, mal von der schlichten Holzbank, auf der sie saß, abgesehen. Absolut nichts, was auf ein bewohntes Heim hindeutete. Aber vielleicht schlief der Herr der Unterwelt ja gern auf dem Boden.
Milly stand auf und lief unruhig auf und ab. Was glaubte er, wer er war? Vielleicht hatte man sie doch hereingelegt. Die Sache war auch ziemlich unglaublich. Vor ein paar Stunden waren zwei kleine rote Wesen mit ledernen Fledermausflügeln, vier Pfoten und drei niedlichen Schwänzchen in ihr Büro geflattert und übergaben ihr einen Brief. Darin bat sie der Teufel zu ihr in die Unterwelt zu kommen, da er einen dringenden Auftrag hatte, den nur die weltberühmte Märchenwalddetektivin lösen könnte. Natürlich hatte er ihr eine ordentliche Belohnung versprochen, ohne die sie nie auch nur einen Fuß vor die Tür setzte. 
Und da in letzter Zeit nicht viel los gewesen war, hatte Milly ihre Sachen gepackt, ihr Haus abgeschlossen und war den wirklich niedlichen Plüschtieren gefolgt.

 Diese hatten ein magisches Portal geöffnet und sie durch die halbe Märchenwelt ins Reich der Mitte direkt zum Eingang der Hölle gebracht – einem großen grauen Stein mit Loch neben drei verkrüppelten Bäumen inmitten einer etwa ein-Meilen-großen Zone Einöde. Selbst der Wind kratzte unangenehm in den Gehörgängen. Und als ob es nicht noch gruseliger hätte werden können, wartete ein Skelett am Höhleneingang auf sie. Nur widerstrebend war Milly ihm ins Innere gefolgt, aber eine ordentliche Belohnung war eine ordentliche Belohnung. Und Schiss wollte sie sich auf keinen Fall nachsagen lassen.
Einige Minuten oder auch einige Stunden - ihr kam es zumindest endlos vor - führte der Knochenmann sie durch einen Tunnel nach dem anderen, bis sie endgültig die Orientierung verloren hatte. Letztendlich durfte sie in diesem Flur warten.

Und wie lange saß sie jetzt schon hier? Wieder eine Frage, die unbeantwortet blieb.
Wirklich gereizt blieb sie stehen und überdachte, was sie dem Verantwortlichen antun würde, wenn sie ihn zwischen die Finger bekam. Etwas zwischen aufhängen und ausweiden schien ihr passend.
Genervt blies sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, wischte sich den Film aus Schweiß und Dreck von der Stirn und lehnte sich an die Wand, von der sie sofort zurück zuckte. Sie war glühend heiß. Also kam die Hitze von den Wänden. Zumindest würde sie nicht erfrieren - aber aufheitern konnte sie der Gedanke auch nicht.
Milly rümpfte die Nase als ihr ein besonders unangenehmer Nebel aus schwefligen und salpetrigen Gasen entgegen schwebte. Der Geruch war einfach übel. Ihr Magen meldete sich sofort zu Wort und sie hatte Mühe den Brechreiz zu unterdrücken. Daneben begann sie ein weiterer Gedanke zu beunruhigen. Der Gestank würde sich in ihrer Kleidung und ihren Haaren festsetzten. Es würde ewig dauern das da wieder zu entfernen. Sie war doch kein Warzenschwein!
Langsam wurde sie richtig sauer. Was bildete sich der Typ eigentlich ein, egal wer er war! Auch als Herr der Unterwelt durfte man eine Dame nicht so behandeln - wenn er es denn war. Und die berühmte Märchenwalddetektivin schon gar nicht! Sollte sie versuchen den Rückweg allein zu finden? Das konnte Tage dauern, oder Monate, oder für immer…
Verdammt!

Blühende Landschaften

Meine Stadt. Was soll ich schreiben? Was gibt es zu erzählen? Meine Stadt war eine große Stadt mit einem Namen, einer Geschichte, einer Zukunft. Nun verschwinden Menschen, Häuser, Träume. Wenn ich durch die Straßen gehe, sehe ich Mauern, Autos, Gestrüpp und Müll. Menschen, die zu beschäftigt sind um sich umzusehen und andere, die zu tief unten sind um irgendetwas zu sehen. Vereinzelt spielen Kinder zwischen den endlosen Blechansammlungen. Ihr Ball rollt hin und her, sie brüllen sich an. Verstehen kann ich sie nicht. Junge Deutsche sind Ausländer in dieser Stadt.


Irgendwann ist Weißwasser nur noch ein überdimensionales Altersheim. Ich sehe Häuser. Einst so stolze Gebäude starren mit toten Augen ins Leere und warten auf ihre Hinrichtung. Wie so viele vor ihnen. Man glaubt gar nicht mehr, wo vor nicht allzu langer Zeit noch Menschen gewohnt haben. Und dann gezwungen wurden, woanders hin zu ziehen. Die Mehrheit wird sich ganz verabschiedet haben und niemals wiederkehren. Wie so vieles.

Über die ehemaligen Grundmauern wuchert nun das Unkraut. Die Namen sind mir unbekannt. Passend, an die Häuser und ihre Geschichten wird sich auch niemand mehr erinnern.
Traurig lassen die Bäume ihre Zweige hängen. Gräser bemühen sich neben Abfall und Glas zu überleben. Der Futterneid lässt zwei Raben ein Eichhörnchen attackieren. Hilflos versucht es zu entkommen. Und wieder eine weiße Blüte ohne Namen.

Vor 15 Jahren hat Helmut Kohl blühende Landschaften versprochen. Ironischerweise erfüllen sich diese doch. Blühende Landschaften auf Gräbern der Vergangenheit. Irgendwie hatten wir uns das anders vorgestellt. Zwei Häuser weiter kümmert sich eine alte Frau liebevoll um die Blumen vor ihrem Haus. Gelbe Lilien, rote Astern, blaue Glöckchen. Eine schwarze Katze schnurrt um ihre Beine. Abwesend streichelt die Alte über ihren Kopf. Die Szene entlockt mir ein Lächeln. Vereinzelt blinzelt die Sonne durch die Wolken.

(veröffentlicht 2005 im Wettbewerb „Zwischendraußen“, Tag der Sachsen ins Weißwasser O:L:)

Aus dem Tagebuch eines Vampirs

Vorwort

Hallo. Ich bin Anice Moireuax, hübsch anzusehen, Anfang 20 und verwaist. Trotz intensiver Bemühungen meines Ziehvaters Lord Armand bin ich noch unverheiratet. Wahrscheinlich auch, weil ich moderne Ansichten vertrete, mich nicht unterdrücken lasse und meine Freiheit eisern verteidige. Alles Eigenschaften, die mein Arbeitgeber Thomas Boulon, vorstehender Professor für Gesellschaftskunde und Mystizismus an der Universität von Paris, besonders an mir schätzt.
Seit Monaten reise ich in seinem Auftrag durch Europa um der angeblichen Existenz von Vampiren auf die Spur zu kommen und eindeutige Merkmale zu finden um diese untoten Wesen zu identifizieren. Momentan wohne ich auf zwei Zimmern in der kleinen Pension der Witwe Biedermeier, irgendwo in einem kleinen Dorf, irgendwo in der Provinz, irgendwann Mitte des 19.Jahrhunderts. Bisher bin ich nur auf wage Gerüchte gestoßen, Märchen und Aberglauben. Wie tief ich wirklich in diese Materie geraten würde, hätte ich niemals für möglich gehalten.
Und so beginnt es in einer Freitag Nacht ...

1.Tag   a.de.
Heut Morgen ging es mir schrecklich. Das heißt, es tut es immer noch. Mein Schädel dröhnt. Mann, war das eine Nacht. Ich kann mich gar nicht erinnern so viel getrunken zu haben. Und der Typ, den ich mitgenommen habe, ist auch nicht mehr da. Der war schon sehr ansehnlich. Wann hab ich ihn verloren? Ich kann mich an überhaupt nichts mehr erinnern, was nach dem Verlassen der Schenke passiert ist. Wer weiß, was ich wirklich getrunken habe. Man hört so einiges von seltsamen neuen Drogen. Nur schade, dass ich mich nicht mehr erinnern kann, ob was mit dem Typ gelaufen ist. An seinen Namen kann ich mich auch nicht erinnern. Hat er ihn mir genannt? Was soll‘s. Es ist sicher gut, dass er mich nicht so sieht. Da kriegt man einen Schreck fürs Leben. Schätze ich zumindest. Der Versuch mich selbst im Spiegel zu betrachten ist irgendwie fehl geschlagen. Meine Augen leiden offenbar auch unter dem Zeug, was auch immer es war. Lohnt sich vielleicht  eine neue Titelstory daraus zu machen. Mal sehen. Mmmh, bin reichlich lichtempfindlich. Hab noch vor dem Aufstehen alle Vorhänge zugezogen. Hatte das Gefühl, dass die Sonne mir Löcher in die Haut brennt. Seltsame halluzinogene Vorstellungen werden meinem unbekannten Krankheitsbild hinzugefügt. Und ich fühle mich auch sonst sehr seltsam.
Ich gehe wieder ins Bett. Gute Nacht.

Aureole

Lunatic kauerte auf dem Dach, unter ihr die offene Luke ins Hafenlager. Drei ihrer Freunde befanden sich bereits im Inneren und durchwühlten Kisten und Säcke. Sie hatten den heutigen Tag für ihren Raubzug ausgewählt, weil die Mehrzahl der Bürger und Wachen auf dem Marktplatz versammelt waren.
Zur Sommerwende fand dort jährlich die Auswahl der begabten Kinder statt. Anerkannte Gutachter schätzten die besonderen Fähigkeiten der Teenager ein und verliehen ihnen farbige Armbinden, die sie mit ihren Schulen verbanden. Die zweite Prüfung bestand darin, den Weg zu finden, der mit den gleichen Farben markiert wurde. Nicht selten verkauften arme Leute Haus und Hof um ihren Kindern diese Möglichkeit zu bieten, denn wer einmal als Auserwählter benannt wurde, stand von da an über den anderen. Die Schulen waren weitgehend unabhängig vom König, seine Gerichtsbarkeit zählte nur noch bei Hochverrat.
Auch Lunatic nutzte diese Chance Freunde vom Los der Gesetzlosen, so wie sie es seit Jahren war, zu retten. Heute war Juce unter den Anwärtern. Sie hatte mit ihren 16 Jahren etwas besseres verdient als ein Leben zwischen Not, Überfällen und Flucht. Sie war mit ihrer schneeweißen Haut und den sonnengoldenen Haaren viel zu schön für Dreck, Abfall und Hinterhöfe.
Lunatic riss sich aus ihren Gedanken. Ihre grünen Katzenaugen schweiften kurz über das Hafenviertel. Kein Lüftchen bewegte sich. Das Meer glitzerte still unter dem klaren Himmel. Von weitem hörten ihre scharfen Sinne den Tumult in der City.

Kurzerhand ließ sie sich durch die Luke ins Dunkel der Halle fallen und landete sacht 4 Meter tiefer auf ihren Beinen.
„Ich wünschte, ich könnte das auch. Stattdessen muss ich immer ein Seil rauf und runter klettern.“ Loan seufzte und packte Fleisch in seine Taschen. Er bedauerte es keine Fähigkeiten als „Katze“ zu haben. Zugegeben das Sehen im Dunklen, das enorme Sprungvermögen und die Schnelligkeit auf kurzen Strecken waren wirklich praktisch. Ganz besonders als Dieb und Rebell.
Lunatic nahm ihren Rucksack vom Rücken. Sie suchte nach kleinen wertvollen Dingen, um von ihrem Verkauf Medizin zu erwerben. Sandy winkte aus einer Türloge. Sie lächelte und wedelte mit einem kleinen Ledersäckchen.
Bargeld ersparte ihnen den mühseligen Schwarzhandel. Lunatic eilte zu der kleinen Blonden. „Ich wollte eigentlich gar nicht reingehen. Was für ein Glück, dass ich es doch getan habe.“ Sandy warf ihrer Anführerin den Beutel zu. Zu leicht für Goldmünzen. Lunatic öffnete es. Funkelnde Diamanten strahlten ihr entgegen. Sie pfiff leise. „Gut gemacht. Sag den anderen, dass wir gehen. Das reicht für ne ganze Weile.“ Das Mädchen lief los, während Lunatic den Beutel mit ihren Händen abwog. Das mussten mindestens 500 Goldtaler sein. Etwas ließ sie erstarren. Ein seltsames Gefühl warnte sie.